Jahrhundertentscheidung – Der Beschluss des BGH vom 2.6.2005 von RA. Fritsch

Eine Jahrhundertentscheidung!

Der Beschluss des BGH vom 2.6.2005

und Aspekte seine Wirkung

im Außenverhältnis

Rechtsanwalt Rüdiger Fritsch[1]

Der Bundesgerichtshof hat sich erneut zu einer Grundsatzfrage des Wohnungseigentumsrechts, nämlich zur Frage der Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft geäußert[2]. Da diese Entscheidung ebenso weitreichende Konsequenzen für die Praxis haben wird, wie der sog. Jahrhundertbeschluss zur Beschlusskompetenz der Eigentümerversammlung, darf man wohl ohne allzu große Übertreibung von der „zweiten Jahrhundertentscheidung“ des BGH sprechen[3]. Von einer „Jahrtausendentscheidung“ zu sprechen, erscheint mit Blick auf das noch junge Jahrtausend allerdings etwas verfrüht[4]. 

Indem der BGH die Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband eigener Art anerkennt, sofern diese Rechtsgeschäfte mit Dritten im Zusammenhang mit der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums vornimmt, wird das Verwaltungsvermögen gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern rechtlich verselbständigt und ist infolgedessen vom Wechsel der Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft unabhängig[5].

Damit hat sich auch der oben dargestellte Theorienstreit zur Frage der Rechtsnatur des Verwaltungsvermögens ebenso wie die Problematik des Erwerbs der Gläubiger- und Schuldnereigenschaft im Falle eines Eigentümerwechsels erledigt. Beseitigt ist auch die unglückliche prozessuale Lage der Wohnungseigentümer[6].

Allerdings tun sich nun auch neue, zuvor nicht vorhandene Problemfelder auf.

1. Keine umfassende Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft 

Aufgrund der besonderen Eigenart der Wohnungseigentümergemeinschaft gesteht der BGH diesem Verband keine umfassende, jedes Rechtsgebiet umfassende Rechtsfähigkeit, sondern nur eine sog. Teil-Rechtsfähigkeit zu[7].

Neu an der veränderten Rechtslage ist daher, dass nun für den konkreten Fall geprüft werden muss, ob die Gemeinschaft hier als rechtsfähig angesehen werden kann oder als nicht-rechtsfähig anzusprechen ist[8].

Rechtsfähigkeit liegt nämlich nur insoweit vor, als dass die Gemeinschaft als solche im Zusammenhang mit der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums im Rechtsverkehr nach außen auftritt[9]. Dazu zählen allerdings nicht nur die als Gemeinschaft mit Dritten vorgenommenen Rechtsgeschäfte, sondern auch Rechtshandlungen der Gemeinschaft im Innenverhältnis, soweit diese das Verwaltungsvermögen der Gemeinschaft (und damit wiederum über die Haftungsmasse indirekt den Rechtsverkehr mit Dritten) betreffen 

2. Konsequenzen für zivilrechtliche Ansprüche im Außenverhältnis 

Wesentliche Änderungen ergeben sich beim Rechtsverkehr mit Dritten.  

a) Die neue Rechtszuständigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft

Beim Abschluss neuer Rechtsgeschäfte tritt die Wohnungseigentümergemeinschaft, vertreten durch den Verwalter, als eigene Rechtsperson auf. Beim Abschluss von Verträgen wird somit nur die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband und nicht mehr der einzelne Wohnungseigentümer Vertragspartei[10]. Entsprechendes ergibt sich für quasi-vertragliche und für gesetzliche Ansprüche, etwa aus Bereichungsrecht oder Deliktsrecht.

Der einzelne Wohnungseigentümer übernimmt nur dann eine eigene persönliche (akzessorische und gesamtschuldnerische) Verpflichtung, sofern er dies gegenüber dem Dritten klar und eindeutig erklärt[11].  

b) Auswirkungen auf bereits abgeschlossene Rechtsgeschäfte

Da eine Änderung der Rechtsprechung auch für in der Vergangenheit liegende Sachverhalte gilt, es sei denn, besondere Vertrauenstatbestände seien zu berücksichtigen (sog. unechte Rückwirkung), sind die Rechtsfolgen der Entscheidung des BGH auch auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte, sofern nicht abgeschlossen, anzuwenden[12].

Dies bedeutet, dass ein ursprünglich vom Verwalter „namens und in Vollmacht der einzelnen Eigentümer“ abgeschlossener Vertrag mit einem Dritten als mit der Gemeinschaft abgeschlossen gilt. Der BGH führt hierzu an, dass dies mangels anderweitiger Hinweise auch dem damaligen Interesse der Vertragsparteien entsprach.

Somit fällt in aller Regel die früher als gegeben angenommene persönliche gesamtschuldnerische Haftung des einzelnen Wohnungseigentümer für sog. Verwaltungsschulden weg.  

c) Auseinanderfallen von Verwaltungsvermögen und Gemeinschaftseigentum 

Sollen Ansprüche verfolgt werden, die auf einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums basieren, so ist problematisch, das ein Anspruch bei der Gemeinschaft regelmäßig nicht besteht. Das Gemeinschaftseigentums fällt nicht in das Verwaltungsvermögen, weshalb Schaden (bei den Eigentümern) und Rechtszuständigkeit (bei der Gemeinschaft) auseinander fallen. Hier ist auf die Grundsätze der sog. Drittschadensliquidation oder auf die Kosntruktion eines Vertrages zugunsten Dritter zurückzugreifen[13]. 

3. Die verfahrensrechtlichen Auswirkungen der Teilrechtsfähigkeit 

Die Zuerkennung einer weitgehenden Rechtsfähigkeit hat ebenfalls erhebliche verfahrensrechtliche Konsequenzen.

a) Partei- und Prozessfähigkeit

Verfahrensrechtliche Folge der Teilrechtsfähigkeit der Gemeinschaft ist deren Partei- und Prozessfähigkeit gem. §§ 50 ff. ZPO analog[14], also die Fähigkeit, an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein und Kläger bzw. Beklagter oder Antragsteller bzw. Antragsgegner sein zu können. Beteiligte in einem wohnungseigentumsgerichtlichen Verfahren bzw. Partei eines zivilprozessualen Verfahrens ist somit ausschließlich die Wohnungseigentümergemeinschaft als rechtsfähiger Verband, soweit der Bereich der Teil-Rechtsfähigkeit betroffen ist. 

b) Problematik laufender bzw. abgeschlossener Aktivverfahren (Hausgeldverfahren) 

Da vor Bekanntwerden des Entscheidung des BGH vom 2.6.2005 anhängig gemachte Aktiv-Verfahren (Hausgeldverfahren) auf der Kläger-/Antragstellerseite noch die einzelnen Wohnungseigentümer mit Ausnahme des Beklagten / in Antragsgegnerschaft stehenden Schuldners der Hausgeldansprüche ausweisen, stellt sich die Frage, wie diesem Umstand Rechnung zu tragen ist. Man kann die Auffassung vertreten, dass insoweit ein zulässiger, da sachdienlicher Parteiwechsel (also ein Wechsel in der Person des Antragstellers) eintritt, weil der laufende Antrag der einzelnen Eigentümer unbegründet geworden, dafür aber der Antrag der Gemeinschaft begründet geworden ist, § 263 ZPO.

c) Passivverfahren

Sind sämtliche Wohnungseigentümer verklagt worden, ist das Rubrum zu berichtigen. Sind dagegen nur einzelne Wohnungseigentümer (als Gesamtschuldner) verklagt worden, so liegt ein Fall der Klageänderung i.S.d. § 263 ZPO vor[15].

d) Grundbuchfähigkeit 

Die Gemeinschaft ist daher auch grundbuchfähig, kann also als Inhaberin dinglicher Rechte im Grundbuch eingetragen werden, etwa bei der Vollstreckung von Hausgeldforderungen als Inhaberin einer Zwangssicherungshypothek oder als Gläubigerin eines Zwangsversteigerungs- oder Zwangsverwaltungsverfahrens[16]. 

4. Die vollstreckungsrechtlichen Auswirkungen der Teilrechtsfähigkeit 

Mangels persönlicher Haftung der einzelnen Eigentümer steht dem Gläubiger der Gemeinschaft in der Regel nur noch das sog. Verwaltungsvermögen als Haftungsmasse zur Verfügung. Soweit allerdings vor allem die liquiden Vermögenswerte der Gemeinschaft (d.h. Geldkontenvermögen) zur Befriedigung des Gläubigers nicht ausreichen, stellt sich die Frage nach weiteren Vollstreckungsmöglichkeiten. Insbesondere ist es denkbar, dass die Illiquidität der Gemeinschaft ja durchaus von den einzelnen Eigentümern gewollt (vorsätzliche Nichtzahlung) verursacht sein. Dem Gläubiger der Gemeinschaft bleibt dann nur die Möglichkeit, auf die der Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband gegenüber den Wohnungseigentümern im Innenverhältnis zustehenden Ansprüche zuzugreifen. Als zum Verwaltungsvermögen gehörend und damit dem Verband zustehend betrachtet der BGH insbesondere den sich gegen den einzelnen Wohnungseigentümer richtenden Anspruch der Gemeinschaft auf Bezahlung der beschlossenen und fälligen Beitragsforderungen, die sich aus Wirtschaftsplan, Jahresabrechnung und Sonderumlagebeschluss ergeben. Diese Ansprüche kann der Gläubiger pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen.

Für den Fall, dass solche Beitragszahlungsverpflichtungen nicht oder nicht in ausreichender Höhe beschlossen und fällig gestellt sind, erkennt der BGH einen gegen den einzelnen Wohnungseigentümer gerichteten Anspruch der Gemeinschaft auf entsprechende Beschlussfassung. Ebenso ist an die Pfändung von Schadensersatzansprüchen zu denken, die der Gemeinschaft dadurch erwachsen, dass die Eigentümer den ihnen obliegenden Pflichten schuldhaft (sei es durch Nicht-Zahlung, sei es durch schuldhaft unterlassene Nicht-Beschlussfassung) nicht nachkommen[17]. Hierbei haften die Wohnungseigentümer gem. §§ 280, 286, 421 BGB untereinander gesamtschuldnerisch, weshalb der vertragstreue Wohnungseigentümer gleichwohl haftet[18]. 

5. Öffentlich-rechtliche Forderungen

Zu beachten ist allerdings, dass für öffentlich-rechtliche Forderungen (Grundabgaben, etc.) in aller Regel die gesamtschuldnerische akzessorische Haftung der Wohnungseigentümer fortbesteht. Der BGH führt in den Gründen seiner Entscheidung aus, dass die Haftung des einzelnen Eigentümers durch den Gesetzgeber angeordnet werden könne[19].

Dies dürfte insbesondere bei kommunalen Grundabgaben, die auf der Grundlage von Satzungen erhoben werden, die die Zahlungspflicht an die Grundstückeigentümereigenschaft knüpfen und (wie im Regelfall) im Falle mehrerer Grundstückseigentümer deren gesamtschuldnerische Haftung vorsehen, gegeben sein[20].



[1] Der Verfasser ist Rechtsanwalt in Solingen, zugleich Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht;

   Beratendes Mitglied im BFW – Bundesfachverband Wohnungs- und Immobilienverwalter e.V.; Mitglied der

   ARGE Miet- und Wohnungseigentumsrecht im Deutschen Anwalt Verein (DAV), Sozius der Kanzlei Krall,

   Kalkum & Partner GbR, Birkenweiher 13, 42651 Solingen, Tel.: 0212 / 22210-0, Fax: 0212 / 22210-40,

   E-Mail: krall-kalkum@telebel.de, Homepage: www.krall-kalkum.de

[2] BGH, Beschl. 2.6.2005 – V ZB 32/05, ZMR 2005, 547 m. Anm. Häublein = NZM 2005, 543; Abramenko,

   ZMR 2005, 585 ff.; Bork, ZIP 2005, 1205 f.; Häublein, Festschrift für Wenzel, 175 ff.;

   Maiwald, DIV 2005, 184 f.

[3] BGH, Beschl. v. 20.9.2000 – V ZB 58/99, ZMR 2000, 771 = NJW 2000, 3500 = Haufe-Index 542564.

[4] DIV 4/2005, 184.                                                                                                 

[5] Abramenko, ZMR 2005, 585.

[6] Bub, NJW 2005, 2590 (2591).

[7] BGH, Beschl. v. 2.6.2005 – V ZB 32/05, ZMR 2005, 547 (555); Müller, DIV 2005, 264 (266).

[8] Abramenko, ZMR 2005, 585.

[9] BGH, Beschl. v. 2.6.2005 – V ZB 32/05, ZMR 2005, 547 (555).

[10] Deckert, DIV 2005, 260 (262).

[11] BGH, Beschl. v. 2.6.2005 – V ZB 32/05, ZMR 2005, 547 (554).

[12] Riecke, Anm. zu BGH v. 2.6.2005, WE 2005, 201.

[13] Elzer, WE 2005, 196 (197).

[14] Elzer, Anm. zu OLG München v. 13.7.2005, ZMR 2005, 730 (731) m.w.N.

[15] Elzer, WE 2005, 196.

[16] Demharter, NZM 2005, 601 ff.

[18] Häublein, Festschrift für Wenzel, 175 ff.

[19] BGH, Beschl. v. 2.6.2005 – V ZB 32/05, ZMR 2005, 547 (554).

[20] KG, Urt. v. 2.12.2004 – 8 U 119/04, WuM 2005, 264.

>>> Hier können Sie das Urteil als PDF-Datei herunterladen: BGH-Beschluss vom 2.6.2005