Merkblatt: Videoüberwachung im Mehrfamilienhaus – Rechte, Pflichten und aktuelle Urteile (Stand 2025)

Videoüberwachung gilt als modernes Mittel zum Schutz vor Diebstahl, Vandalismus und Einbrüchen. Doch im Mehrfamilienhaus ist die rechtliche Lage komplex: Zwischen Sicherheitsinteressen, Persönlichkeitsrechten und Datenschutz muss sorgfältig abgewogen werden. Grundsätzlich gilt: Kameras dürfen nicht einfach ohne Zustimmung aller Betroffenen installiert werden.

🔹 1. Grundsatz: Keine Überwachung ohne Einwilligung aller Beteiligten

Sowohl Mieter als auch Wohnungseigentümer haben ein Recht auf Privatsphäre. Wird eine Kamera installiert, die gemeinschaftliche oder private Bereiche erfasst – etwa das Treppenhaus, den Eingangsbereich oder den Hausflur –, ist die Zustimmung aller Bewohner oder Eigentümer erforderlich.

Fehlt diese Zustimmung, kann die Überwachung gerichtlich untersagt oder der Abbau der Kamera verlangt werden.

Beispiele:

  • In einem Berliner Mehrfamilienhaus ließ der Vermieter den Hauseingang überwachen, um Sachbeschädigungen zu verhindern. Das Landgericht Berlin entschied, dass diese Maßnahme unzulässig ist – die Mieter konnten den Abbau der Kamera verlangen.

(LG Berlin, Urteil v. 31.10.2000, 65 S 279/00)

  • Auch wenn nur ein einziger Mieter oder Eigentümer widerspricht, darf die Kamera nicht betrieben werden. Das Landgericht München I stellte klar, dass selbst bei 90 % Zustimmung die Rechte des Einzelnen überwiegen. In einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) reicht ein Mehrheitsbeschluss zur Installation in Gemeinschaftsbereichen nicht aus, wenn dadurch das Persönlichkeitsrecht einzelner beeinträchtigt wird.

(LG München I, Hinweisbeschluss v. 7.6.2022, 14 S 2185/22)

🔹 2. Videoüberwachung durch Vermieter oder Eigentümer

Vermieter oder Wohnungseigentümer dürfen keine heimlichen Aufnahmen anfertigen – weder im Treppenhaus noch vor Wohnungstüren. Eine verdeckte Kamera verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen.

Beispiel (Schlüsselurteil 2024):

  • Eine Vermieterin installierte eine versteckte Kamera im Treppenhaus, um eine angebliche Untervermietung nachzuweisen. Der Bundesgerichtshof entschied: Die Aufnahmen sind rechtswidrig und dürfen in einem Zivilprozess nicht verwertet werden (Beweisverwertungsverbot). Der Verdacht eines Vertragsverstoßes rechtfertigt den erheblichen Eingriff in die Rechte der Mieter nicht, da mildere Mittel (z. B. Befragung von Nachbarn) zur Verfügung gestanden hätten.

(BGH, Urteil v. 12.03.2024, VI ZR 1370/20)

🔹 3. Digitale Türspione und „smarte“ Kameras

Auch digitale Türspione oder smarte Klingelkameras, die den Flur oder Besucher filmen, können unzulässig sein. Selbst wenn keine Speicherung erfolgt, liegt häufig ein Eingriff in die Privatsphäre anderer Hausbewohner vor.

Beispiele (Konkretisierung 2024):

  • Ein Wohnungseigentümer musste seinen digitalen Türspion entfernen, weil dieser den Hausflur erfasste. Das Gericht stellte klar, dass die Beseitigungspflicht selbst dann besteht, wenn die Aufnahmen weder gespeichert noch an ein Smartphone übertragen werden können. Allein die Überwachungsfunktion ist ein unzulässiger Eingriff.

(LG Karlsruhe, Urteil v. 17.5.2024, 11 S 162/23)

  • Eine ähnliche Entscheidung traf das Amtsgericht Bergisch Gladbach: Die Kamera war mit dem Smartphone verbunden und konnte Bilder speichern – sie musste entfernt werden.

(AG Bergisch Gladbach, Urteil v. 3.9.2015, 70 C 17/15)

  • Nur in Ausnahmefällen, etwa bei einer schweren Sehbehinderung, kann eine Kamera am Türspion erlaubt sein.

(AG Köln, Urteil v. 20.12.1994, 208 C 57/94)

🔹 4. Überwachung von Gemeinschaftsflächen (z. B. Tiefgarage, Waschküche)

In Wohnungseigentümergemeinschaften (WEGs) darf eine Videoüberwachung nicht durch Mehrheitsbeschluss eingeführt werden, wenn dadurch einzelne Eigentümer oder Mieter in ihren Rechten beeinträchtigt werden (siehe Punkt 1).

Beispiel Tiefgarage:

  • Selbst nach Diebstählen und Sachbeschädigungen erklärte das LG München I die Kameraüberwachung der Tiefgarage für unzulässig, weil das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Eigentümer überwiegt.

(LG München I, Beschluss v. 11.11.2011, 1 S 12752/11 WEG)

Beispiel Waschküche:

  • Zwar darf eine Kamera in Ausnahmefällen zur Aufklärung schwerer Schäden oder Straftaten eingesetzt werden, doch eine dauerhafte oder heimliche Überwachung bleibt unzulässig.

(OLG Köln, Urteil v. 5.7.2005, 24 U 12/05)

🔹 5. Überwachung von Nachbargrundstücken

Kameras dürfen nicht auf Nachbargrundstücke oder öffentliche Wege gerichtet sein. Schon die theoretische Möglichkeit, dass das Nachbargrundstück erfasst werden könnte, kann einen Unterlassungsanspruch begründen (Überwachungsdruck).

Beispiele (Konkretisierung 2024):

  • Das AG Gelnhausen entschied, dass eine Kamera so einzustellen ist, dass das Nachbargrundstück keinesfalls erfasst werden kann. Selbst eine Kamera mit Schwenkfunktion ist unzulässig, wenn sie elektronisch auf das Nachbargrundstück geschwenkt werden könnte, auch wenn sie aktuell nur das eigene Grundstück überwacht.

(AG Gelnhausen, Urteil v. 4.3.2024, 52 C 76/24)

  • Das AG Spandau untersagte eine Kamera, die teilweise den Eingang des Nachbarhauses mitfilmte.

(AG Spandau, Urteil v. 6.1.2004, 5 C 557/03)

🔹 6. Überwachung im Eingangsbereich und Aufzug

Kameras im Eingangsbereich oder Aufzug greifen besonders tief in die Privatsphäre der Bewohner ein. Eine pauschale Überwachung ist unzulässig, auch wenn es zuvor Vandalismus gab.

Beispiele:

  • Das LG Berlin entschied, dass selbst nach Schmierereien keine Kamera im Aufzug installiert werden darf.

(LG Berlin, Urteil v. 23.5.2005, 62 S 37/05)

  • Auch das Kammergericht Berlin lehnte eine Überwachung des Aufzugs ab.

(KG Berlin, Urteil v. 4.8.2008, 8 U 83/08)

🔹 7. Kameras im Klingelschild oder in der Gegensprechanlage

Kameras im Klingeltableau oder in der Gegensprechanlage sind nur in engen Grenzen zulässig. Sie dürfen nur die Person zeigen, die klingelt, und keine dauerhafte Überwachung ermöglichen.

Beispiele:

  • Eine Kleinstkamera, deren Bild ohne Beschränkung ins Hausnetz übertragen wurde, wurde vom Kammergericht Berlin als rechtswidrig eingestuft.

(KG Berlin, Beschluss v. 26.6.2002, 24 W 309/01)

  • Zulässig ist eine Lösung, bei der das Bild nur anlassbezogen nach Betätigung der eigenen Klingel an die jeweilige Wohnung übertragen wird und die Übertragung nach kurzer Zeit (z. B. 60 Sekunden) automatisch unterbrochen wird.

(BayObLG, Beschluss v. 21.10.2004, 2 ZBR 124/04)

🔹 8. Auch Attrappen können problematisch sein

Selbst Kamera-Attrappen sind nicht immer erlaubt. Schon die bloße Androhung einer Überwachung kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen.

(AG Berlin-Lichtenberg, Beschluss v. 24.1.2008, 10 C 156/07)

🧭 Fazit: Was ist erlaubt, was nicht?

Maßnahme Zulässigkeit Hinweise
Kamera im Eingangsbereich oder Treppenhaus Unzulässig ohne Zustimmung aller Bewohner Auch deaktivierte Kameras können unzulässig sein. Ein WEG-Mehrheitsbeschluss reicht nicht.
Digitale Türspione (mit/ohne Speicherung) Meist unzulässig Selbst ohne Speicherung unzulässig, wenn der gemeinschaftliche Hausflur erfasst wird (LG Karlsruhe 2024).
Überwachung der Tiefgarage oder Waschküche ⚠️ Nur bei schweren Straftaten und zeitlich befristet Permanente Aufzeichnung oder heimliche Überwachung verboten.
Kamera auf Nachbargrundstück gerichtet Unzulässig Schon der „Überwachungsdruck“ oder die theoretische Schwenkfunktion (AG Gelnhausen 2024) reicht aus.
Kamera, die nur beim Klingeln aktiviert wird Zulässig Nur Bildübertragung in die eigene Wohnung, muss nach kurzer Zeit (z.B. 60 Sek.) abschalten.
Kamera-Attrappen ⚠️ Meist unzulässig Verletzen das Persönlichkeitsrecht durch die Androhung einer Überwachung.

 

📌 Praxis-Tipp für Eigentümergemeinschaften

  • Zustimmung aller Betroffenen: Vor jeder Installation sollte ein Beschluss der Eigentümerversammlung gefasst werden. Wichtig: Die Zustimmung aller betroffenen Eigentümer und Mieter muss vorliegen.
  • Mildere Mittel prüfen: Vor der Installation muss immer geprüft werden, ob es mildere und weniger eingreifende Mittel gibt, um das Ziel zu erreichen (z. B. Befragung von Nachbarn, verbesserte Beleuchtung, Wachpersonal).
  • Hinweisschilder sind Pflicht: Schilder mit Hinweisen auf Videoüberwachung sowie die Angabe des Verantwortlichen für die Datenverarbeitung sind nach DSGVO Pflicht, sobald eine echte Kamera betrieben wird.
  • Datenschutz-Folgenabschätzung: Eine solche Abschätzung kann helfen, rechtliche Risiken zu vermeiden.

Hinweis: Dieses Merkblatt wurde mit Unterstützung eines KI-Modells erstellt. Es dient der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberat