Vor Beschlussfassung über größere Erhaltungsmaßnahmen oder bauliche Veränderungen müssen den Wohnungseigentümern grundsätzlich 3 Vergleichsangebote vorliegen. Insbesondere bei der Feststellung und Aufklärung von Mängeln und/oder verschiedener technischer Lösungen bzw. Ausführungsvarianten ist es nicht möglich, die notwendigen Entscheidungen in einer einzigen Eigentümerversammlung zu treffen. Vielmehr ist ein mehrstufiges Vorgehen erforderlich, bei dem in einer ersten Eigentümerversammlung die Beauftragung eines Sachverständigen beschlossen wird, welcher den Handlungsbedarf feststellt und die unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten bzw. Ausführungsvarianten aufzeigt. Insoweit stellt sich die spannende Frage, ob auch vor Beauftragung eines Sachverständigen Alternativangebote einholt werden müssen. Zu diesem Thema liegt aktuell ein Urteil des LG Frankfurt a. M. vor.

 

Keine Vergleichsangebote bei Beauftragung eines öffentlich bestellten Sachverständigen

Während das Amtsgericht noch die Auffassung vertrat, dass auch im Falle der Beauftragung eines öffentlich bestellten Sachverständigen 3 Vergleichsangebote hätten vorliegen müssen, stellt das LG Frankfurt a. M. (Urteil vom 25.02.2021, 2-13 S 47/20) als Berufungsinstanz klar, dass das Vorliegen eines Angebots ausreicht. Die Einholung von Vergleichsangeboten ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, die Ermessensentscheidung der Wohnungseigentümer auf eine ausreichend gesicherte Tatsachengrundlage zu stellen. Demgegenüber hat das Sachverständigengutachten einen anderen Zweck. Es dient vielmehr der Aufklärung, inwieweit das gemeinschaftliche Eigentum sanierungsbedürftig ist und welche Wege hier zur Verfügung stehen, ist somit letztlich vorgelagerter Teil einer späteren Sanierungsmaßnahme.

 

Praxishinweis

Die häufig von der Rechtsprechung gebetsmühlenartig aufgestellte pauschale Forderung nach „3 Vergleichsangeboten“ überzeugt nicht und führt nicht selten zu einer Entmündigung der Wohnungseigentümer bei ihrem Bestreben nach der Suche vertretbarer Handlungen mit dem Ziel der Sicherstellung eines geordneten Zusammenlebens innerhalb der Gemeinschaft (zutreffend kritisch auch Casser ZWE 2018, 382; Drasdo NJW-Spezial 2018, 673; Luhmann/Letzner NZM 2019, 243). Ebenso wie ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Alleineigentümer nicht jedes Mal drei Vergleichsangebote einholt, ist es nicht immer zwingend erforderlich, dass den Wohnungseigentümern mindestens 3 Vergleichsangebote vorliegen. Es kommt vielmehr auf die Gesamtumstände an. Folgende Gesichtspunkte sind besonders anzusprechen:

 

  • Bagatellgrenze – Die Rechtsprechung verlangt regelmäßig erst ab Überschreitung eines bestimmten Schwellenwerts die Einholung von Vergleichsangeboten, wobei dieser Schwellenwert stark variiert (LG Karlsruhe ZWE 2013, 417: 3.000,00 €; LG Hamburg, BeckRS 2016, 129249 Rn. 29; 2.000,00 €; LG Dortmund ZWE 2017, 96: 5.000,00 €; LG Frankfurt a. M. ZMR 2018, 788: Volumen liegt unter 5 % des Wirtschaftsplans).
  • Gut und bewährt – Hat die Mehrheit der Wohnungseigentümer Vertrauen zu einem konkreten Anbieter aufgrund der guten Durchführung vorangegangener Aufträge zur Zufriedenheit der Wohnungseigentümer und/oder besteht ein Vertrauensverhältnis zu dem Dienstleister, müssen keine Vergleichsangebote eingeholt werden. Dieser Gesichtspunkt gilt auch für die Beauftragung von Rechtsanwälten (vgl. AG Charlottenburg ZMR 2018, 873) und ist deshalb von Bedeutung, weil versierte Rechtsanwälte seit der WEG-Reform – insbesondere bei Beschlussanfechtungsklagen – auf eine Vergütungsvereinbarung bestehen werden.
  • Dokumentierte Bemühungen des Verwalters – Jeder Praktiker weiß, dass Verwalter auf Anfrage häufig überhaupt keine (Vergleichs-)Angebote mehr erhalten. Um seine Bemühungen nachweisen zu können, sollte sich der Verwalter daher per E-Mail an verschiedene Anbieter wenden und um Hergabe eines entsprechenden Angebots bitten. Sofern der Verwalter auf diese Weise versucht hat, mehrere Angebote einzuholen, ihm schließlich lediglich nur ein Angebot übersandt worden ist, sollte er die Wohnungseigentümer über diese entscheidungserhebliche Tatsache bereits in der Einladung informieren – denn auch dann haben die Wohnungseigentümer eine Entscheidungsgrundlage!
  • Beauftragung eines Architekten, Fachplaners – Bei der Beauftragung von Architekten wurde in der Vergangenheit das Erfordernis von Vergleichsangeboten mit Verweis auf die HOAI verneint (OLG München NZM 2009, 821; LG Hamburg ZMR 2016, 135). Am 01.01.2021 ist die neue HOAI in Kraft getreten, die keinen verbindlichen Preisrahmen aus Mindest- und Höchstsätzen mehr enthält, sodass bei der Beauftragung eines Architekten der pauschale Verweis auf die HOAI nicht mehr ausreicht. In entsprechender Anwendung der vom LG Frankfurt a. M. aufgestellten Grundsätze werden daher richtigerweise keine Vergleichsangebote von Architekten bzw. Fachplanern eingeholt werden müssen, sofern diese ihre Preisgestaltung bzw. ihren Nettostundenlohn mitgeteilt haben.
  • Delegation der Entscheidungsbefugnis auf den Verwalter – Aufgrund der WEG-Reform ist es in erweitertem Maße möglich, dem Verwalter durch Delegationsbeschlüsse eine freiere Entscheidungsmöglichkeit bei der Auswahl von Architekten, Fachplanern oder Handwerkern einzuräumen. Allerdings ist hier bei der Beschlussfassung das besondere Augenmerk auf die Bestimmtheit und die Vorgabe klarer Entscheidungskriterien zu richten (vgl. Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 9 Rn. 156).

 

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