Folgeschäden im Sondereigentum durch Gemeinschaftseigentum (Merkblatt)

In Wohnungseigentumsanlagen kommt es häufig vor, dass ein Mangel am Gemeinschaftseigentum (z.B. ein undichtes Dach, defekte Abdichtungen oder Risse in Außenwänden) einen Schaden am Sondereigentum (z.B. ein Wasserschaden in einer Wohnung) verursacht. Dieses Merkblatt erläutert, unter welchen Voraussetzungen ein Schadensersatzanspruch besteht, wer haftet und welche rechtlichen Grundlagen sowie Gerichtsentscheidungen dabei zu beachten sind. Die häufigsten Streitpunkte betreffen dabei die Frage nach dem Verschulden und die Abgrenzung zwischen einer Pflichtverletzung und einer reinen Unwägbarkeit.

  1. Grundsatz: Keine automatische Haftung der Gemeinschaft

Die bloße Tatsache, dass ein Schaden im Sondereigentum durch einen Mangel am Gemeinschaftseigentum verursacht wurde, begründet keinen automatischen Schadensersatzanspruch gegen die Eigentümergemeinschaft. Nach ständiger Rechtsprechung gilt das Verschuldensprinzip: Ein Anspruch auf Schadensersatz besteht nur, wenn die Gemeinschaft oder der Verwalter ihre Instandhaltungspflichten schuldhaft verletzt haben.

Beispiel: Eine Eigentümerin entdeckt einen Wasserschaden an ihrer Decke, der von einem undichten Gemeinschaftsrohr stammt. Stellt sich heraus, dass der Schaden plötzlich und ohne vorherige Anzeichen auftrat und weder der Gemeinschaft noch dem Verwalter bekannt war, besteht kein automatischer Schadensersatzanspruch.

Rechtliche Grundlage und Urteil:

  • BayObLG, 3.7.1986 – 2 Z 36/85: Eine verschuldensunabhängige Haftung der Eigentümer für Schäden am Sondereigentum wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum ist ausgeschlossen. Ein Ersatzanspruch kann nur entstehen, wenn Mängel am Gemeinschaftseigentum bekannt waren und dennoch nicht beseitigt wurden.
  1. Voraussetzungen für eine Haftung der Gemeinschaft und des Verwalters

Die Eigentümergemeinschaft haftet, wenn sie erkannte Mängel im Gemeinschaftseigentum nicht zeitnah beseitigt, obwohl sie dazu verpflichtet ist. Auch ein Verwalter, der seiner Pflicht zur Veranlassung notwendiger Instandsetzungsmaßnahmen nicht nachkommt, kann haftbar gemacht werden.

Beispiele für Haftungsfälle:

  • Beispiel 1 (Haftung der Gemeinschaft): Der Verwalter weist in der Eigentümerversammlung auf eine festgestellte Dachundichtigkeit hin. Die Eigentümer lehnen jedoch aus Kostengründen die dringend notwendige Instandsetzung ab. Wochen später kommt es aufgrund dieser Undichtigkeit zu einem massiven Wasserschaden in der Dachgeschosswohnung. Der betroffene Eigentümer kann von der Eigentümergemeinschaft Schadensersatz fordern, da die Gemeinschaft trotz Kenntnis die erforderliche Maßnahme verweigert hat.
  • Beispiel 2 (Haftung des Verwalters): Ein Wohnungseigentümer meldet dem Verwalter einen Feuchtigkeitsschaden an seiner Decke und weist auf eine mögliche Ursache im Dachbereich hin. Der Verwalter reagiert über Wochen nicht auf die Meldung und veranlasst keine Prüfung oder Reparatur, obwohl die Dringlichkeit erkennbar ist. Infolgedessen vergrößert sich der Schaden erheblich. In diesem Fall kann der Verwalter persönlich haftbar gemacht werden, da er seine Pflichten zur Schadensabwendung schuldhaft verletzt hat.

Rechtliche Grundlagen und Urteile:

  • BayObLG, 29.12.1987 – 2 Z 153/87: Der Verwalter haftet, wenn er auf gemeldete Mängel nicht reagiert und dadurch Folgeschäden am Sondereigentum entstehen.
  • OLG Frankfurt, 17.1.1985 – 20 W 94/84: Der Schadensersatzanspruch richtet sich in Fällen schuldhafter Untätigkeit des Verwalters unter Umständen direkt gegen den Verwalter selbst und nicht gegen die Gemeinschaft.
  1. Kein Anspruch bei „Zufallsschäden“

Schäden, die ohne Verschulden der Gemeinschaft oder des Verwalters entstehen, begründen keinen Schadensersatzanspruch. In diesen Fällen handelt es sich um sogenannte „Zufallsschäden“, bei denen der Sondereigentümer den Schaden selbst tragen muss. Eine sogenannte Gefährdungshaftung (Haftung ohne Verschulden) besteht im Wohnungseigentumsrecht für solche Fälle grundsätzlich nicht.

Beispiele für Zufallsschäden:

  • Eine plötzliche, unvorhersehbare Dachleckage durch einen unerwartet heftigen Sturm, die keinerlei vorherige Anzeichen aufwies.
  • Eine Verstopfung einer Dachrinne, die ohne erkennbare Vorzeichen oder Hinweise auf mangelnde Wartung auftritt.
  • Ein Materialversagen einer Leitung im Gemeinschaftseigentum, das plötzlich und ohne jegliche Anzeichen von Alterung oder Verschleiß eintritt.

Praxisfall: Regenwasser tritt durch eine plötzlich aufgetretene, unvorhersehbare undichte Stelle im Dach ein. Ein Verschulden der Gemeinschaft oder des Verwalters, etwa durch unterlassene Instandhaltung trotz bekannter Mängel, ist nicht feststellbar. In diesem Fall ist der Schaden vom betroffenen Eigentümer selbst zu tragen.

Urteil:

  • OLG Frankfurt, 6.1.1984 – 20 W 309/83: Nur wenn Eigentümer untätig bleiben, obwohl sie von einem Mangel wissen oder ihn hätten erkennen müssen, kann ihnen ein Verschulden vorgeworfen werden.
  1. Schäden durch notwendige Instandsetzungsarbeiten

Werden Arbeiten am Gemeinschaftseigentum durchgeführt, die zur ordnungsgemäßen Instandhaltung oder Instandsetzung erforderlich sind (z.B. Dachsanierung, Rohrleitungswechsel), können dabei mittelbare Schäden am Sondereigentum entstehen. Hierbei handelt es sich nicht um eine schuldhafte Handlung, sondern um unvermeidliche Begleiterscheinungen der Maßnahme.

Beispiele für solche Schäden:

  • Fliesen müssen in einem Bad entfernt oder beschädigt werden, weil neue Steigleitungen im Gemeinschaftseigentum verlegt werden müssen, die durch die Wand des Sondereigentums verlaufen.
  • Eine tapezierte Wand wird bei der Erneuerung von Gemeinschaftsfenstern beschädigt, da die Arbeiten eine Beeinträchtigung des angrenzenden Sondereigentums unumgänglich machen.
  • Eine Dachwohnung wird während einer notwendigen Dachsanierung vorübergehend unbewohnbar, sodass dem Eigentümer Hotelkosten entstehen.
  • Eine Terrasse ist über Wochen wegen Arbeiten an der darunterliegenden Isolierung (Gemeinschaftseigentum) nicht nutzbar, was zu einem Nutzungsausfall führt.

Gemäß § 14 Nr. 4 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) ist die Eigentümergemeinschaft in diesen Fällen verpflichtet, die Kosten für diese Folgeschäden zu erstatten.

Urteil:

  • OLG Düsseldorf, 21.12.1998: Wird bei einer Balkonsanierung (Gemeinschaftseigentum) Sondereigentum beschädigt, besteht ein Anspruch auf Ersatz der Wiederherstellungskosten.

Wichtig: Vorteilsausgleichung („Neu für Alt“)

Der geschädigte Eigentümer hat nur Anspruch auf den Ausgleich der tatsächlich entstandenen Nachteile. Eventuelle Vorteile, die durch die Instandsetzungsmaßnahme entstehen (z.B. eine „Gratisrenovierung“ durch den Ersatz alter Substanz durch neue), sind anzurechnen. Dies wird als Vorteilsausgleichung oder „Neu für Alt“-Abzug bezeichnet.

Beispiel zur Vorteilsausgleichung: Die ersetzte Tapete in der Wohnung war bereits drei Jahre alt und hatte eine geschätzte Restlebensdauer von nur noch einem Jahr (Gesamtlebensdauer vier Jahre). In diesem Fall werden nur 25% der Kosten für eine neue Tapete ersetzt, da der Eigentümer durch die neue Tapete einen Vorteil (Verlängerung der Nutzungsdauer) erlangt hat, der vom Schaden abgezogen wird.

Urteil:

  • BGH, Urteil vom 26.11.1984 (zitiert nach OLG Celle, 4 W 90/84): Die Grundsätze der bürgerlich-rechtlichen Aufopferung gelten auch im Wohnungseigentumsrecht, wenn Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht rechtzeitig beschlossen oder durchgeführt werden. Dies untermauert den Anspruch auf Ausgleich bei notwendig gewordenen Eingriffen.
  1. Sonstige Vermögensschäden

Neben reinen Substanzschäden können auch weitere Vermögensschäden ersatzfähig sein, sofern sie eine direkte Folge des Mangels am Gemeinschaftseigentum oder der notwendigen Instandsetzungsarbeiten sind.

Beispiele für ersatzfähige Vermögensschäden:

  • Mietausfall: Wenn die Wohnung aufgrund des Schadens oder der Sanierungsarbeiten unbewohnbar ist und der Mieter berechtigt die Miete mindert oder kündigt.
  • Verdienstausfall: Wenn der Eigentümer beispielsweise unbezahlten Urlaub nehmen muss, um die Koordination von Handwerkern zu übernehmen, weil der Schaden oder die Reparatur dies erfordert.
  • Hotelkosten: Wenn die Wohnung aufgrund des Schadens oder der notwendigen Instandsetzungsarbeiten vorübergehend unbewohnbar ist und der Eigentümer Hotelkosten für die Dauer der Unbewohnbarkeit hat.
  • Aufwendungen für Gutachter: Kosten für einen Sachverständigen zur Beweissicherung und Feststellung der Schadensursache, sofern dies zur Klärung des Falles notwendig und verhältnismäßig war.

Urteile:

  • BayObLG WE 87, 160: Auch Nutzungsausfall kann als Schaden geltend gemacht werden, sofern er nicht nur vorübergehend ist und dem Eigentümer nicht zugemutet werden kann.
  • OLG Frankfurt, 17.1.1985 – 20 W 94/84: Sachverständigenkosten sind ersatzfähig, wenn sie der Feststellung von Baumängeln dienen und eine Notmaßnahme zur Sicherung der Ansprüche darstellen.
  1. Unklare Schadensursache

Ist die Ursache eines Schadens zunächst unklar und lässt sich nicht eindeutig zuordnen, ob er durch Gemeinschafts- oder Sondereigentum verursacht wurde, hat der Verwalter die Pflicht, unverzüglich die Ursache klären zu lassen. Unterlässt er dies schuldhaft, kann er auch dann persönlich haften, wenn sich später herausstellt, dass der Schaden letztlich nicht im Gemeinschaftseigentum lag. Seine Pflichtverletzung liegt dann in der unterlassenen Ursachenermittlung.

Urteil:

  • BayObLG, 29.01.1998 – 2 Z ER 53/97: Der Verwalter haftet für unterlassene Ursachenermittlung auch dann, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Verantwortlichkeit nicht im Bereich des Gemeinschaftseigentums lag.
  1. Beteiligung an Kosten

Wird ein Folgeschaden im Sondereigentum über die Eigentümergemeinschaft reguliert, zählen diese Kosten grundsätzlich zu den Kosten der Verwaltung im Sinne von § 16 Abs. 4 WEG (früher § 16 Abs. 2 WEG). Das bedeutet:

  1. Die Eigentümergemeinschaft zahlt den Schaden aus der Gemeinschaftskasse.
  2. Der geschädigte Eigentümer beteiligt sich an diesen Kosten anteilig selbst nach dem gültigen Umlageschlüssel (z.B. Miteigentumsanteile), da er Teil der Eigentümergemeinschaft ist.

Urteil:

  • OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.10.1994 – 3 Wx 448/94: Auch der geschädigte Eigentümer trägt seinen Anteil an den Verwaltungskosten, selbst wenn er Anspruch auf Ersatz hat, da die Kosten der Gemeinschaft zuzuordnen sind.

Fazit und Empfehlungen für Eigentümer

Die Eigentümergemeinschaft haftet für Schäden im Sondereigentum in der Regel nur bei Verschulden (d.h. bei schuldhafter Verletzung ihrer Instandhaltungspflichten). Schäden, die unvermeidlich durch notwendige Instandsetzungsarbeiten am Gemeinschaftseigentum entstehen, sind jedoch zu ersetzen. Auch bestimmte Vermögensschäden können ersatzfähig sein.

Empfehlung für betroffene Eigentümer:

  • Mängel und Schäden umgehend schriftlich und nachweisbar (z.B. per Einschreiben oder E-Mail mit Lesebestätigung) dem Verwalter und idealerweise auch dem Beirat melden. Dokumentieren Sie den Schaden umfassend (Fotos, Zeitpunkt, Umfang).
  • Bei bevorstehenden Instandsetzungsarbeiten am Gemeinschaftseigentum, die voraussichtlich Ihr Sondereigentum betreffen könnten, möglichst frühzeitig mit dem Verwalter und der Gemeinschaft klären, welche Kosten gegebenenfalls ersetzt werden und wie der Ablauf ist.
  • Berücksichtigen Sie stets den Vorteilsausgleich („Neu für Alt“). Es gibt keine unbegrenzte Erneuerung auf Kosten der Gemeinschaft.
  • Bei Unsicherheiten oder komplexen Schadensfällen sollten Sie umgehend Rechtsberatung bei einem auf Wohnungseigentumsrecht spezialisierten Anwalt einholen, um Ihre Ansprüche fundiert prüfen und durchsetzen zu können.